Welcome in Morocco

Zum Textverständnis:

Ich bin mit meiner 16 jährigen Tochter für 3 Wochen nach Marokko gereist. In der ersten Woche war die beste Freundin meiner Tochter dabei. Wir haben die Wohnung eines marokkanischen Bekannten aus Osnabrück gemietet, sein Bruder Et-tayeb hat uns dort geholfen. 

Bei Interesse kann ich einen Kontakt herstellen.

 

 

Ich sitze im Flieger nach Marokko. Jetzt geht alles ganz schnell und doch steht die Zeit still.

Wir sitzen alle zusammen und ich kann kaum eine Nationalität zuordnen.

Alle sind vorsichtig miteinander. Umso länger die Flugzeit voran schreitet, kommt Leben in die Reihen.

Eine lange Schlange bildet sich vor der Toilette im vorderen Flugzeug.

Die Kinder werden auf ihren Sitzen unruhig und laufen im Gang hin und her.

Es ist keine Sprache nötig. Es menschelt.

Unter uns das letzte europäische Festland und nun das Meer.

Ich wäre gerne auf anderen Wegen nach Afrika gelangt....zu Fuß...mit dem Rad.....mit dem Schiff.

Doch die Möglichkeit mit meiner Tochter gemeinsame Zeit zu verbringen, gibt diese Variante vor.

  

Der Mann vor mir verteilt Schokobonbons. Kinderaugen strahlen und auch Erwachsene nehmen dankend an. Ein kleines marokkanisches Mädchen, keine zwei Jahre alt, geht durch die Reihen und gibt den Menschen die Hand. Entzückend und rührend. Ich habe Tränen in den Augen.

Der Mann schräg vor mir ist bestimmt schon weit über 80 Jahre alt. Manchmal lässt er etwas fallen. Der kleine Junge in der Reihe vor ihm, hat ihm schon einen Kuss auf die Wange gegeben.

 

Unter uns die Berge Afrikas.

Das entzückende marokkanische Mädchen wird unruhig auf dem Schoss des Vaters.

Er kann sie kaum halten, sie weint, schreit und windet sich.

Ein etwas größeres Mädchen bewirkt, das ihre Stimmung wieder kippt. Sie hat einen interessanten Kreisel, dieser leuchtet und sie lässt ihn auf ihrer Stirn kreiseln...

Nur die Familien mit kleinen Kindern sitzen zusammen, ansonsten sind alle im Flugzeug verteilt. Ryanair. 

Araber, Berber, Niederländer, Deutsche und Schwarzafrikaner.

Kopftücher in allen Varianten, doch meistens arabisch gebunden.

Wir fliegen vier Stunden, die meisten Menschen essen nichts oder mitgebrachtes Essen. Das teure abgepackte Essen nehmen die wenigsten.  

Unter uns der hohe Atlas und dann die Landung in Agadir. 

Der Flughafen ist nicht so groß, überall marokkanische Fliesen, fast gemütlich.

Wir stehen alle lange an der Passkontrolle, von Massentourismus keine Spur.

Vielleicht ein Viertel der Menschen sind Europäer. Die Luft ist warm und windig, nicht heiß.

Mir steigen immer wieder Tränen in die Augen, im Flieger schon, auf dem Weg zum Flughafengebäude und als wir mit Et-tayeb im Taxi sitzen. 

Was für eine andere Welt.

Mein Herz ganz groß - Freude - Tränen - ich kann garnicht sagen, warum ich immer weinen muss.

Wir umrunden Agadir. Im Hintergrund die Berge, das Land rötlich, lehmig, staubig.

Viele Wohnblocks, große Flächen dazwischen.

Menschen die unter knorrigen Bäumen im Schatten sitzen, Frauen in bunten Gewändern gehüllt,

am Straßenrand Obstverkäufer, Eselskarren, knarzende Motorräder und alte Autos.

 

Die Mädchen kichern, wir sitzen zu dritt hinten im Taxi, Et-tayeb vorne.

Wir reden wenig. Ich staune und staune.

Mein Herz läuft immer wieder über. Nach einer Stunde kommen wir in einem Außenbezirk von Agadir an.

Der Vorort liegt auf einem Berg oberhalb der Küste. Taddart. 

Eine Wohnung im oberen Stockwerk. Blick auf ein Straßencafé, daneben ein kleiner Laden mit abgehangenem Fleisch. 

 

 


 

 

Da kaufen wir dann am Abend nicht ein, sondern gehen die großzügige Straße ein Stück abwärts.

Ein Neubaugebiet, das dennoch für mein Auge nicht so wirkt. Viele Neubauten sind halb fertig gestellt, nicht alle sind bewohnt. 

 

In dem kleinen Laden gibt es einiges an Gemüse und eine Handvoll Hühner in Bodenhaltung. 

Die Mädchen schreien leise auf, als klar wird, wir wollen eins und es wird direkt geschlachtet.

Meine Tochter ißt nach vier Jahren das erste mal wieder Fleisch, sie findet diese Variante besser, als die Tiere aus der Massentierhaltung aus dem Kühlregal.

Et-tayeb scherzt und schubst mit dem älteren Verkäufer, er kauft immer bei ihm ein.

 

 

Anfangs fällt es mir schwer, anzunehmen, das Et-tayeb soviel für uns tut. Wir können ja alle mithelfen, doch er möchte das nicht wirklich. Er hat seine ganz eigene Art alles zu regeln.

Irgendwann lasse ich es, ich  schau ihm zu, manchmal schreibe ich. Dadurch entsteht sehr viel Raum in mir.

 

 

 


 

 

"Bonjour, Madame!!! Bonjour, Madame!!! Ca va ?" rufen mir die Jungs zu.

Manche strahlen mich freundlich an, manche grinsen etwas frech.

Ich laufe allein 3,5 Stunden von einem Strand oberhalb Agadirs zurück zu unserem Vorort.

Es fühlt sich gut an, mich zu bewegen. Ich fühle mich leicht und frei.

 

Am Strand sehe ich marokkanische Familien zusammen sitzen oder schlendern. Viele brechen auch schon auf. Die meisten Jungs spielen jetzt Fussball, nur wenige schwimmen noch. Es ist schon gegen Abend.

 

Ich fühle mich beschützt und im Licht. Es gibt viel Blickkontakt und die Menschen strahlen zurück.

Strand und Felsenabschnitte wechseln sich ab.

 

Um zum nächsten Strandabschnitt zu kommen, klettere ich über Felsen und komme an meine Grenzen, die Höhenunterschiede sind recht groß. Mir kommen ein paar Jungs entgegen.

Sie klettern in Badelatschen und mit großer Leichtigkeit.

Als sie mitkriegen, dass ich zögere, ist einer sofort da "Madame!", er zeigt mir, wo ich die Füße setzten soll und reicht mir die Hand. Die anderen wirken erst erstaunt und lachen dann, ich lache auch.

 

Mit Et-tayeb sind wir meistens im Bus unterwegs. Der Bus fährt ungefähr 20 bis 30 Minuten von Taddert nach Agadir. Am ersten Abend bei der Rückfahrt aus Agadir ist der Bus sehr voll. Viele Menschen stehen, wir auch.

Da wird meine Tochter plötzlich ohnmächtig. Sie steht zum Glück am Rand und ich drücke meine Knie gegen ihre, damit sie nicht zu Boden fällt.

Die Frau neben mir deutet mir sofort an, ich soll ihr Wasser ins Gesicht machen. Sie kommt wieder zu sich und ihre Freundin und ich versuchen ihr Wasser einzuflößen. Jemand macht einen Sitzplatz frei und wir bringen sie auf den Platz. Es wird kein Aufhebens gemacht und doch ist Mitgefühl da.

 

Und besonders von Et-tayeb. "Aufpassen" sagt er immer.

(Genau wie Morad, ein marokkanischer Freund von mir aus Deutschland).

"Aufpassen" auf die Sachen am Strand - dass die Tasche verschlossen ist - im Verkehr -

nicht auszurutschen - genug zu trinken - vor alkoholisierten Männern  

Er begleitet uns überall hin, verhandelt, kauft mit uns ein, kocht und wäscht die Wäsche mit der Hand.

Seine Fürsorge rührt mich. Doch es ist nicht unbedingt, was er alles für uns tut. 

Es ist seine Haltung. Er ist liebevoll und witzig, er scherzt viel, besonders mit den Mädchen und wir lachen viel zusammen. 

 

 


 

 

 

Viele Bedenken, Vorurteile und Ängste sind uns im Vorfeld gegenüber der nordafrikanischen Männerwelt zugetragen worden.

Ich persönlich mache andere Erfahrungen. 

Ich lerne nur Beschützer kennen. Und doch kann ich mich nicht davon frei sprechen, das die Bedenken einen Eindruck bei mir hinterlassen und eine Zurückhaltung.

 

Doch ich taste mich langsam vor. 

Ich fange mit einem abendlichen Spaziergang in unserem Vorort an.

Nach zwei Straßen bin ich schon raus aus dem Ort. Ich laufe eine kleine Straße rauf auf eine Anhöhe.

Die Gegend ist steinig, wüstenartig mit Kakteen und kleinen knorrigen Bäumen. 

Am Straßenrand ein paar Hundert Meter entfernt, parkt ein Auto.

"Aufpassen" höre ich Morad in meinem Kopf .

"Aufpassen vor den jungen Männern in den Vororten und Dörfern. Viele sind arbeitslos, manche trinken Alkohol, machen Sabsarab"

Wenn ich das denke, fühle ich mich ängstlich und eng.

Ich versuch gar nichts zu denken. Möge Gott mich beschützen. Ich fange an zu summen.

In dem Auto sitzen 3 junge Männer und eine Frau, sie hören Musik und wirken völlig harmlos. Wir begrüßen uns freundlich.

 

Auf der Anhöhe befinden sich Gebäude, doch das Gelände ist vergittert. 

Ich laufe einen kleinen Pfad nach links, doch der endet schnell. Als ich zurück komme, tritt ein Mann aus dem Tor. Er spricht kein Englisch und ich mühe mich mit ein paar Brocken Französisch ab. 

Soweit ich ihn verstehe, versorgen sie von hier Taddart mit Trinkwasser.

 

Er scheint erfreut über das kleine Gespräch. Und als ich den Berg wieder zurück schlendere, geht die Sonne langsam unter.

Der Ruf zum Gebet schallt übers Land "ALLAH!" 

Noch hat es fast was mystisches, aber ich werde mich schnell daran gewöhnen, da der Ruf fünf mal am Tag und in Nacht erklingt.

 

 

Et-tayeb und die Mädels schlafen morgens immer lange. Einmal mache ich in der Zeit einen Spaziergang Richtung Norden, bis ich das Meer sehen kann.

Einen anderen Tag laufe ich über eine Stunde Richtung Osten und Berge .

In den nächsten Tagen will ich mit meiner Tochter allein dorthin aufbrechen.

Ich versuche mich mit einer ungenauen Karte zu orientieren.

Unterwegs begegnen mir zwei Ziegenhirten. Ich komme durch ein kleines Dorf in dem sich "vielleicht noch" nichts bewegt und setzte mich irgendwann auf einen Stein und schaue über das hügelige Land.

Eine Gruppe kleiner Kinder überholt mich fröhlich und viele rufen mir "Bonjour Madame!" zu. 

 

 

 

Ein paar Tage später, nachdem die Freundin meiner Tochter abgereist ist,  starten wir in dieselbe Richtung. Kompass Nord-Ost, kurz nach Sonnenaufgang.

Wir haben Zelt und Schlafsachen dabei, jeder 3 Liter Wasser  und kommen auf 10 kg Gepäck pro Rucksack.

Es ist nicht so nebelig, wie die letzten Tage, Gott sei Dank. 

Es ist eh schon schwer genug abzuschätzen, wo wir sind.

In dem ersten kleinen Dorf treffen wir einen jungen Mann, der zu irgendeiner Wasserstelle unterwegs ist.

Wir reden Englisch und Französisch. Er ist begeistert von Deutschland und kennt alle Fußballmannschaften.

Als wir die Wasserstelle  erreichen, stellen wir fest, das das Wasser warm ist. Es sammelt sich in kleinen Becken.

 

Baden tuen wir jedoch nicht. 

Es hängen hier ein paar zwielichte Gestalten herum. Ihr Blick ist ausweichend und ihre Lebenskraft wirkt dünn.

Der junge Mann dagegen frisch und frei, lebt auch in Taddart und kommt jeden Morgen zu Fuß eineinhalb Stunden hierher. Er lädt uns zu sich nachhause ein, er würde für uns kochen. Sehr nett, doch wir gehen weiter.

 

Die Orientierung mit der Karte ist schwer. Wir gehen nach Kompass. Die Wege werden immer kleiner und wir folgen einem Flussbett.

Steinwüste.

 

 

Die Sonne steigt und es wird mächtig warm.  In Agadir ist durch den Atlantik immer Wind und kühlere Luft.

Wir legen uns im Schatten eines kleinen Baumes ab. Meine Tochter schläft.

Die Grillen zirpen. In der Ferne blöcken Ziegen.

Sonst nichts.

 

 

Irgendwann nerven die Fliegen.

Die Straße nach Immouzzer kann nicht weit entfernt sein.

Wir machen uns wieder auf und sehen irgendwann ein Auto in der Ferne blitzen und laufen in diese Richtung.

Der Schweiß läuft in Strömen. 

Wir lassen uns wieder im Schatten von Bäumen in der Nähe der Straße nieder.

Ich versuche ein Auto anzuhalten, das uns mitnimmt.

Marokkaner in alten Autos halten an, doch sie wollen alle nach Agadir, falsche Richtung für uns.

Neuere Autos halten nicht oder sie sind voll.

Meine Tochter und die Rucksäcke sind von der Straße aus nicht zu sehen.

Ein marokkanisches Touristenpärchen hält, sie fragen ob alles ok ist, wollen uns aber nicht mitnehmen.

 

Erst als wir beide mit Rucksack auf der Straße sind, hält ein alter Transporter. Berber.

Ein älterer Mann am Steuer, eine Berberfrau sitzt hinten. 

Sie nehmen uns ein ganzes Stück mit ins nächste Dorf. Hier beginnt eine 40 km lange Schlucht entlang eines Flusses. Eine Oase mit Palmen in dieser kargen Gegend.

 

Ich bin gar gekocht. Überhitzt.

Ein Berber, der am Straßenrand einen kleinen Laden mit traditionellem Geschirr und Steinen hat, lädt uns in seine bescheidene Unterkunft auf ein Glas Wasser ein.

Wir nehmen dankend an. Wir sollen uns unbedingt seinen Laden anschauen. Wir bräuchten auch nix kaufen.

Er sei Berber, kein Araber. Noch ein paar Fotos mit der Tochter, der reicht es dann auch und wir gehen weiter.

 

Der Fluss fängt an und wir sehen viele Kinder baden. Doch die Straße verläuft direkt am Fluss.

So erfrischen wir uns nur die Füße bei erster Gelegenheit. Das Wasser ist lauwarm.

Im Fluss gibt es immer wieder Wasserbecken in denen man Baden kann. 

Ich komme kaum runter, bin immer noch überhitzt.

Wir laufen eine ganze Weile und suchen eine gute Badestelle und einen Platz zum Zelten, der von der Strasse nicht so einsichtig ist.

Gerade und ohne Steine sollte er auch sein. Schwierig.

 

Das Tal ist sehr eng, die kleine Straße verläuft immer direkt neben dem Fluss.

 

 

 

 

Wir entscheiden uns für eine weitläufige Kurve. 

Der Platz ist zwar von der Straße aus zu sehen, doch das Zelt hat die Farbe der Umgebung und wir bauen erst in der Dämmerung auf.

 

Ich habe ein bißchen Stress, da ich finde, das meine Tochter unvorsichtig beim Baden ist.

Mir ist es lieber, sie zieht ein T-Shirt über ihren Bikini. 

Gerade wenn wir hier zelten wollen, muss keiner mitkriegen das wir hier sind.

Wenn Autos vorbei fahren, ducken wir uns. Das Baden tut sehr gut.

Wir sitzen bis zum Sonnenuntergang im Schutz der Steine und genießen die Einsamkeit.

In der Dämmerung bauen wir das Zelt auf. 

Wir haben von Et-tayeb ein kleines Handy mit einer marokkanischen Simkarte mit.

Ab und zu fragt er: "Hallo Tourist, wie geht es euch, alles ok? "Und immer gerne der Hinweis:" Bitte aufpassen."  Ja...

...wir sehen den ersten Skorpion über unseren anvisierten Zeltplatz laufen und unter ein paar Steinen verschwinden.

Wir sind froh, das Zelt dabei zu haben und es zumachen zu können.

Es wird immer dunkler, der Verkehr nimmt langsam ab und wir legen uns im Schutz der Dunkelheit schlafen......

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    Stefan (Freitag, 15 September 2017 05:15)

    schön geschrieben, bin auf die Fortsetzung gespannt :)

  • #2

    Cordula (Freitag, 15 September 2017 07:55)

    Das freut mich, Stefan. Die Fortsetzung ist fast fertig...

  • #3

    Syelle (Mittwoch, 27 September 2017)

    Eine wunderschöne Reisebeschreibung, Mit deiner Offenheit, deinem Mut, deinem Staunen scheinst du einen ganz besonderen Zugang zu diesem Land zu bekommen.