Ich schiebe mein gepacktes Fahrrad auf einen größeren Sandweg und will versuchen zum Meer zu radeln. Ich kann es von hier sehen, es sind vielleicht noch 2 oder 3 km. Doch ich unterschätze, wie rutschig der nasse Sand ist.
Mein Rad gleitet weg und ich liege im klebrigen Sand und schiebe dann doch lieber zur Straße zurück.
Die Schäfer und einzelne Leute sind auch schon wieder zu den Plantagen unterwegs. Ein junger Mann bringt eine ältere Frau auf der Mofa....
Ich bekomme einen Nachrichten Gruss von Armine. Dem jungen Mann, den ich auf dem Hinweg im Zug kennengelernt habe.
Er lädt mich wieder in seine Familie ein. Ich bin nur schon mit Nesrine und Wissem verabredet.
Wir stellen jedoch fest das ich 2 km vor seinem Ort bin und gleich durchfahre. Das kann kein Zufall sein und so besuche ich seine Familie.
Armine wartet an der Hauptstraße auf mich und die Wiedersehensfreude ist groß. Wir laufen kreuz und quer durch sein Dorf. Überall kennt er Leute und stellt mich vor. Es ist als wenn sich plötzlich alle Türen öffnen und das Fremde verschwindet komplett.
Armine ist die Brücke und ich bin gerührt.
Zuhause werde ich mit großer Herzlichkeit empfangen. Mama spricht Arabisch. Armine spricht Französisch und Arabisch, aber seine Schwester spricht auch Englisch, das erstemal außerhalb vom Unterricht und das sehr gut.
Die andere Schwester lebt in Frankreich. Sie soll mich auch kennenlernen und wird per Video Chat angerufen.
Es gibt Kaffee und Kekse und die Mama macht mir Essen. Es ist so lecker und ich genieße es sehr.
Das Haus ist ebenerdig, alles ist gefliest, auch der Innenhof. In der Mitte ist ein Brunnen. Eine Nachbarin kommt vorbei und füllt sich große Flaschen mit dem Brunnenwasser ab.
Wir sitzen in einem Zimmer mit Sofa und Plastikstühle werden dazu geholt. Zwei große Nähmaschinen stehen in der Ecke.
Die Schwestern studieren beide. Der Vater lebt nicht mehr. Armine verdient das Geld. Er hat studiert und sucht gute Arbeit.
Noch hat es nicht geklappt und er arbeitet immer wieder als Tagelöhner. Ein paar Tage später schreibt er mir nach einem langem Arbeitstag: "Ich liebe die Arbeit und das schwierige Leben. Für mich ist es notwendig zu arbeiten und meiner Familie ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen."
Ich werde mit Fürsorglichkeit bedacht....durch meinen morgendlichen Sturz in den klebrigen Sand bin ich schmutzig. Die Mama reibt mir den Dreck mit einem feuchten Tuch aus der Hose und als ich meine Schuhe wieder anziehe, stelle ich fest, das sie schon sauber sind. Die Wasserflaschen sind auch gefüllt.
Sie laden mich ein zu bleiben, was wunderschön wäre....ich komme wieder....bestimmt....und fahre heute erstmal nach Gabès......
Armine bringt mich zurück zur Hauptstraße, nicht ohne eine Menge Leute auf der Straße und in Läden zu begrüßen und mich vorzustellen.
Danke. Ich fahre glücklich weiter.
Nach Gabès sind es nur noch 20 km. Und dann bin ich wieder im Hotel Regina.
Regina hört sich deutsch an, ist aber sehr tunesisch.
Der Innenhof ist zauberhaft. Eine Oase der Ruhe mitten in der Stadt. Und ich kann mein Rad direkt vor meinem Zimmer abstellen und auch draußen sitzen. In Räumen wird es mir schnell eng.
Hier ist es ein bißchen schmuddelig...halt keine deutsche Sauberkeit. Ich will das auch so.
Ich benutze einfach meinen Schlafsack. Doch muss ich mich immer wieder aktiv an die Hand nehmen und mir sagen:
Ich liebe Schmutz!
Besonders im Bad, die vielen Haare im Waschbecken der Vorbewohner, wahrscheinlich auch meine.
Die Toilettenspülung ist abgestellt. Aus gutem Grund!
Wenn sie an ist, läuft kontinuierlich Wasser aus dem maroden Rohr hinten raus. Erstmal nur hinter die Toilette, aber die Spur zieht dann weiter bis zur Dusche und krabbelt langsam zur Tür raus.
Aber kein Problem. Ich kann die Spülung ja abstellen, wie mir die Putzfrau geraten hat. Zum Glück!
Bei Wissem im Zimmer bekomme ich später mit, läuft die Spülung geräuschvoll immer, auch nachts und lässt sich garnicht abstellen,
dann lieber so.
Ich wünschte, mir würde der Schmutz nichts ausmachen und ich wäre unempfindlich. Draußen empfinde ich es garnicht so.
So kann ich mich hier schön trainieren. Let's have a party !!!
Aber erstmal merke ich, dass ich ziemlich müde bin. Ich spring unter die Dusche und schlafe bestimmt 2 Stunden.
Von Wissem bekomme ich die Nachricht, das er heute nicht kommt. Die Züge fahren gerade nicht. Streik. Er wartet morgen ab.
Und ich bin ganz froh um die Pause.
Ich bin ja auch noch mit Nesrine verabredet. Mit dem Rad und Navi bin ich in 20 Minuten bei ihr. Es war für sie garnicht einfach eine Adresse anzugeben, dass das Navi findet. Über ein markantes Gebäude in der Nähe ging das dann.
Sie kommt mit ihrer Freundin, um mich abzuholen. Es ist mittlerweile schon dunkel. Auf den Straßen ist viel los, sie lebt in einem lebendigen Stadtteil mit vielen Cafés und Geschäften, die auch noch offen sind.
Auf den ersten Blick erkenne ich sie nicht. Sie ist ein bißchen geschminkt und ihre Mimik ist ein wenig anders. Aber nach kurzer Zeit sehe ich die Nesrine, die ich kenne. Sie ist jung, vielleicht 20 und lebt nun mit drei anderen jungen Frauen in einem Wohnheim.
Ich kann mich erinnern, wie ich selber früher, durch die Nähe mit Freundinnen eine andere Mimik und Sprache angenommen habe.
Wir gehen rauf in das Zimmer. Drei Holzbetten, drei Holzschränke und auf einem Klapptisch ein Gaskocher, ein Kühlschrank ein Tisch mit Vorräten daneben. Super Stimmung im Zimmer unter den Mädels und ich darf ein wenig teilhaben.
Ihre Freundin geht einkaufen und ruft von unterwegs auch schon wieder an und macht mit Nesrine einen Abgleich vom Vorratsschrank. Nesrine wird des öfteren um Rat gefragt, sie ist so selbstsicher und fein. Mich auf jeden Fall beeindruckt sie. Und sie meint ich würde immer noch so klein aussehen, womit sie wahrscheinlich mein Alter meint. Wir sprechen in einfachem Englisch miteinander.
Ich sitze mit Nesrine auf ihrem Bett und sie macht mir einen Kaffee mit ein Stück Torte. Ihre Freundin kommt auch aus Nouill und studiert wie sie Esthetique. Die beiden anderen studieren etwas anderes...
Es soll hier auch eine Gemeinschaftsküche geben, aber sie sind lieber unter sich und kochen auf dem Zimmer...so verstehe ich es.
Dann klopft auch schon bald die Hausverwaltung, Nesrine geht raus und kommt irgendwann wieder, sie ist wütend.
Besuch ist nicht erlaubt. Und so mache ich mich wieder auf den Weg.... .danke Nesrine.
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Reinhard V. (Freitag, 03 April 2020 08:15)
Armine ist die Brücke...alles Fremde isr weg...und die Wasserflaschen sind gefüllt und Schuhe geputzt. WELCHE MENSCHLICHE LIEBENSWÜRDIGKEIT.
Feine Ironie: Ich liebe Schmutz...
Cordula (Freitag, 03 April 2020 09:45)
Danke für Deine Anteilnahme, Reinhard.
Nein, mit dem Schmutz ist es keine Ironie, sondern mein Mantra und Mentaltraining ���