Über Wut und Vergebung

 

Ich fuhr mit einem Freund mit der Bahn zur Nordsee.

Mit diesem Freund ist es für mich eine besondere Freude Zug zu fahren, da er ein Meister im Kontakte knüpfen ist.

 In kürzester Zeit hatte er es geschafft, das das halbe Abteil miteinander kommunizierte, herrlich.

So hatten wir schon eine Menge Leute kennengelernt,

zumeist aber Frauen.

 

Als wir nun in Rheine den Zug wechselten, unsere Rädern ins Fahrradabteil schoben, sah ich hinter der Glastür eine Gruppe von Männern sitzen.

Der Freund zögerte und ich meinte fast ein wenig triumphierend :

"So, jetzt lernen wir mal ein paar Männer kennen".

 

Und schon saßen wir zwischen den ganzen Kerlen, alle so um die 50 Jahre alt und tätowiert bis unter die Achseln. Sie waren schon ordentlich in Fahrt und hatten einiges getrunken. 

Sie ruckten zusammen und boten uns direkt etwas zu trinken an. Ich packte etwas zu Essen aus, das die Runde machte. Interessierte Blicke von der Seite links neben mir.

Einer von den Männern, der in einer hinteren Reihe saß, schien der ruhigste, der die Gruppe anführte.

 

Wo kommt ihr denn her? fragte mein Freund.

"Von janz weit weg, von janz weit weg"  Sie hielten sich länger bedeckt.

 

Mein Freund erzählte das er gerade von einer Reise aus Halle kommt. Da hätte er eine Freundin besucht und begleitet, die beruflich Musik macht. Sie würde Geige und Flöte spielen.

 

Die Männer grölten "sie hat ihm eine geflötet, sie hat ihm eine gegeigt." 

Es war wie ein Spiel, und meine Befangenheit war Teil davon.

Die Männer schraubten sich immer weiter rein und warfen sich die verbal die Bälle zu. 

Es stellte sich heraus, das sie auf dem Rückweg von einem gemeinsamen Thailandurlaub waren. 

 

Ich war sprachlos. Meine Gedanken drehten sich. Sexurlaub in Thailand?

 

Irgendwann war mir so schlecht, das ich rausgehen musste. 

Ich ging zum Rad zurück und trank erstmal Wasser. Warum ist mir eigentlich so schlecht? fragte ich mich.

Es sind meine Gedanken, von denen mir schlecht ist. Ich weiß nix von ihnen.

Ich wollte die Männer kennenlernen, also.... mach was damit Cordula.

 

Ich setzte mich wieder zwischen die Männer, die noch am grölen waren und fragte:

 

"Habt Ihr denn in Thailand  auch Sex mit Minderjährigen?"

 

Ruhe

 

 "Um Gottes Willen, einige von uns haben selber Kinder" und dann kamen wir ins Gespräch.

Wir haben lange gesprochen, ich kann mich nicht mehr an alles erinnern.

Sie erzählten auf jeden Fall von den Bars, in denen Frauen arbeiten, die die Männer zum Trinken animieren sollen.

Diese Frauen kauften sie dann für den Abend frei, das sie bei ihnen am Tisch sitzen blieben.

Und manch eine ging auch mit dem ein oder anderen "freiwillig" ins Bett.

Wie auch immer.

Das es aus ihrer Sicht freiwillig geschah, schien ihnen wichtig.

Ich konnte die Männer mit ihrem Bedürfnis spüren. 

 

Was habe ich darüber zu urteilen? 

 

Das spürte ich dann erst später als ich mit dem Rad an der Nordsee entlang fuhr.

Bei einer Pause kurz vorher, erzählte mir mein Freund eher nebenbei das er sich mit seinem Sohn einen Porno angeschaut hatte. Das war sowas wie der letzte Tropfen, der mein inneres Fass zum überlaufen brachte.

Ich fuhr Rad und in mir stieg Wut auf. So eine Wut habe ich selten empfunden.

Und das war nicht die Wut auf meinen Freund, auch wenn ich mir keine Pornos anschauen würde und meinen Kindern dasselbe empfehle.

Und doch fühlte ich meine Werte, von Richtig und Falsch /  Opfer und Täter

Ein Teil von mir war noch mit den thailändischen Frauen identifiziert.

Und so bin ich dahin geradelt und habe geschrien und geschrien und meiner Wut Luft gemacht. 

Und unter meiner Wut konnte ich etwas anderes fühlen.

Ich konnte die Einheit dahinter fühlen - beides zu sein

und unschuldig zu sein

Und wie kraftvoll Wut ist.

Ich kann sie für meine Entscheidungsfreiheit nutzten.

Mich für das zu entscheiden, was stimmt.

So oder so.

 

Ein Jahr später hatte ich eine Beziehung zu einem viel jüngeren Mann, der aus Marokko kommt und in Deutschland lebt. Aber das ist schon wieder eine neue Geschichte....